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Zeitungsartikel von Hoheneck



Wer war wer in Hoheneck?

Stasi und Strafvollzug

Hoheneck in Stollberg zählt zu den Orten, die zum Synonym für Schrecken und Leid wurden. Von 1950 bis 1989 befand sich hier das zentrale Frauengefängnis der DDR.

Strafvollzugsanstalt Hoheneck, Südflügel (Außenansicht)Strafvollzugsanstalt Hoheneck, Südflügel (Außenansicht)Quelle: Archiv Stiftung Sächsischer Gedenkstätten

Von insgesamt etwa 24.000 Häftlingen waren 8.000 politische Gefangene. Diese politisch verurteilten Frauen mussten sich die engen und überbelegten Zellen mit Kriminellen teilen und standen in der Gefangenenhierarchie ganz unten. Zeitzeugen berichten von Kälte, unhygienischen Verhältnissen und permanenter Bespitzelung durch die Stasi. Eine ehemalige Insassin sprach bei einer Veranstaltung der Außenstelle Chemnitz der Stasi-Unterlagen-Behörde über ihre Erlebnisse und gab Einblicke in ihr persönliches Schicksal. Darüber hinaus stellte der Historiker Sebastian Lindner (BStU) seine neuesten Forschungsergebnisse vor.

Von der Stasi überwacht

Im Jahr 1864 auf den Ruinen einer mittelalterlichen Burg als königlich-sächsisches Weiberzuchthaus eröffnet, wurde Hoheneck im Laufe seiner Geschichte in unterschiedlichen Funktionen genutzt. Im Februar 1952 wurde Hoheneck zum zentralen Frauengefängnis der DDR – für kriminelle Straftäterinnen und politisch Inhaftierte gleichermaßen. Die wenigsten der politischen Gefangenen waren Oppositionelle oder Dissidenten. Die meisten der "Politischen" hatten schlicht versucht, aus der DDR zu fliehen. In den 70er und 80er Jahren wurde der Großteil aller politischen Gefangenen nach §213 des Strafgesetzbuches der DDR verurteilt. Der Paragraph stellte das "ungesetzliche Verlassen" der DDR unter Strafe, die "Republikflucht".

Der politische Strafvollzug war ein wichtiges Instrument der SED-Diktatur zur Sicherung ihres Machtanspruches. DDR-Gegner sollten auf diese Weise systematisch entfernt und verwahrt werden. Das Ministerium für Staatssicherheit sollte dafür sorgen, dass dies möglichst ohne Aufsehen und reibungslos geschah. Die "Absicherung" des politischen Strafvollzugs hatte für die Geheimpolizei deshalb hohe Priorität.

Um den Einfluss politischer Häftlinge auf die restlichen Insassinnen einzudämmen und einen möglichen Aufstand zu vermeiden, installierte die Stasi unter Mitarbeitern des Strafvollzugs und unter den Häftlingen ein dichtes Netz an inoffiziellen Mitarbeitern. Eine Überprüfung aller Vollzugsbeamten auf ihre Systemtreue verstand sich von selbst. Politische und ideologische Verlässlichkeit war dabei für eine Stellenbesetzung im Strafvollzug ausschlaggebender als die berufliche Kompetenz. Wer als politische zuverlässig galt, konnte außerdem schnell Karriere machen. Die Stasi beeinflusste auch, wer befördert wurde oder für das berufliche Fortkommen wichtige Weiterbildungen erhielt.

So spielte die Stasi von Anfang an eine zentrale Rolle in Hoheneck. 1972 wurde diese wichtige Rolle auch organisatorisch gefestigt. Das MfS installierte eine eigene Operativgruppe "Hoheneck" in der Strafvollzugsanstalt, die der Kreisdienststelle Stollberg unterstellt war. Stets bemüht, alle Fäden in der Hand zu halten, waren die Mitarbeiter des MfS die eigentlichen Herren des Strafvollzuges in Hoheneck.

Die Stasi-Mitarbeiter hatten freien Zugang zu allen Bereichen. So konnten sie ungestört unter Personal und den Häftlingen möglichst viele Informanten anwerben. Die Motivation für eine Zusammenarbeit mit dem MfS war sehr unterschiedlich und reichte von Systemtreue über Pragmatismus bis hin zu Hafterleichterungen. Unter den normalen Strafgefangenen und dem Personal der Strafvollzugsanstalt waren die Anwerber sehr erfolgreich. Am Ende waren es so viele IM, dass sie sich oft gegenseitig bespitzelten, ohne voneinander zu wissen. Die Rekrutierung politischer Häftlinge als IM gestaltete sich jedoch schwierig, da diese meist standhaft blieben und sich auch nicht von Vergünstigungen und möglichem Hafterlass ködern ließen.

Die Aufgabe der angeworbenen Spitzel war die "Aufklärung und Verhinderung" von Straftaten politischer Häftlinge. Stets hatte das MfS die Befürchtung, die politischen Gefangenen könnten Unruhe stiften oder ihre kritische Haltung gegenüber der DDR weitertragen. Der gezielte IM-Einsatz sollte dafür sorgen, dass das MfS jedes intimste Detail aus dem Leben und der Gefühlswelt der inhaftierten Frauen erfuhr. Einer dieser Informanten war der leitende Anstaltsarzt, der von der Stasi unter dem Decknamen "Pit" angeworben wurde. Auch ein Pfarrer, der als Seelsorger engen Kontakt zu den Frauen hatte, berichtete fleißig als IM "Roland". Selbst die Operativgruppe stand unter stetiger Kontrolle. So wurden den verantwortlichen Mitarbeitern etwa Nachlässigkeiten in der Dienstdurchführung vorgeworfen.

 

Geflohen, Gefasst, Gefängnis

Die aus politischen Gründen inhaftierten Frauen standen in der Gefangenenhierarchie ganz unten. Eine dieser politisch inhaftierten Frauen war Irene Schreiber, die von Januar 1981 bis Juni 1982 in Hoheneck war.

Gemeinsam mit ihrer Familie versuchte sie im August 1980 die Flucht über die bulgarische Grenze. Hierbei lösten sie einen stillen Alarm aus und gerieten augenblicklich in die Fänge der bulgarischen Geheimpolizei, die sie nach Sofia brachte. Es folgten Verhöre und die Ausreise nach Berlin-Schönefeld. Von dort aus ging es mit dem konfiszierten PKW der Familie Schreiber in die Stasi-Untersuchungshaftanstalt nach Dresden. Es folgten der Gerichtsprozess und ein härteres Urteil als nach §213 des Strafgesetzbuches der DDR üblich. Während ihr Mann eine Strafe von 2 Jahren und 10 Monaten und ihr achtzehnjähriger Sohn 2 Jahre und 4 Monate verbüßen sollten, wurde Irene Schreiber zu 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Der jüngste Sohn, zum damaligen Zeitpunkt zwölf Jahre alt, kam ins Heim für schwererziehbare Kinder.

Getrennt von Mann und Kindern war Schreiber von nun an Insassin in Hoheneck. Isoliert von der Außenwelt existierten weder Kommunikation mit noch das Vertrauen zu anderen Gefangenen. Während ihrer gesamten Haftzeit erhielt Schreiber nur einen einzigen Besuch ihres Ehemannes und ihres älteren Sohnes. Ihren minderjährigen Sohn bekam sie in der Zeit nie zu Gesicht.

Hinzu kamen die unmenschlichen Haftbedingungen In dem über 100 jährigen Gebäude lag die Durchschnittstemperatur bei 14 °C, die Dächer waren undicht. Immer wieder kam es im Lauf der Zeit zu Überbelegungen in Hoheneck, die Zellen waren maßlos überfüllt. "Ich musste mir meine Zelle mit über 20 hochkriminellen Insassinnen teilen", erinnert sich Schreiber. Lautsprecherdurchsagen erfüllten den ganzen Tag lang das Gebäude mit ohrenbetäubendem Lärm, in den Zellen, auf den Fluren oder in der zentralen Werkstatt, in der die Gefangenen arbeiteten mussten. Im Zweischichtsystem mussten verschmutzte Armeeuniformen ausgebessert werden. In den Staubwolken blieb den Frauen kaum Luft zum Atmen. Arbeitsschutz gab es nicht. Stattdessen wurde die schwere Arbeit mit einer zusätzlichen "Eiweißzulage" in Form von Götterspeise "belohnt".

Beim wöchentlichen Duschgang ließen die Aufseherinnen die Frauen mit nassen Haaren über die endlos langen und kalten Flure laufen. Auch wurde ihnen oft das Wasser abgestellt. Besuchsverbote gehörten ebenso zur Tagesordnung, wie die Hofgang-Verbote. Irene Schreiber versuchte die ständige Einwirkung der Stasi und die andauernden Auseinandersetzungen zwischen den anderen Insassinnen zu ignorieren. "Stets habe ich versucht, meine Haftzeit möglichst unbeschadet zu überstehen."

Ihre letzten drei Monate in Hoheneck, die sie in Einzelhaft verbringen musste, empfand sie persönlich als Wohltat. Kein Lärm, keine Intrigen, keine Streitigkeiten zwischen den Zellengenossinnen. Was für sie als Strafe gedacht war, genoss Schreiber.

Es folgten der Freikauf in den Westen im Juni 1982 und die Familienzusammenführung, die im Oktober komplettiert wurde. Endlich konnte Schreiber ihren jüngsten Sohn wieder in den Armen halten. Ein Gefühl, welches sie selbst nach 30 Jahren immer noch nachempfinden und spüren kann.