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In der Hölle von Hoheneck
BildGefängniszelle in Hoheneck
Zelle in Hoheneck

(Quelle: dpa)

 
 

von Janina Schreiber

Eingesperrt, weil sie frei sein will: Manuela Polaszczyk versucht 1984 aus der DDR zu fliehen und landet im Frauengefängnis Hoheneck - in der "Hölle". Wie es im berüchtigtsten Frauenknast der DDR zuging und wer sie damals verriet, daran erinnert sie sich im Interview mit heute.de. 

 

Cottbus im Jahr 1984: Manuela Polaszczyk plant ihre Republikflucht. Nachdem ihr Vater von einem Westurlaub bei einer Cousine nicht mehr zurückkommt, fühlt sich die damals 20-Jährige beobachtet - und beschließt, über die Ostsee zu fliehen, bevor die Stasi sie abholt. Am 18. Juli 1984 ist es soweit.

 

Manuela Polaszczyk...

...geboren in Westdeutschland, aufgewachsen in der DDR, wurde 1984 wegen "Republikflucht" zu zwei Jahren und vier Monaten verurteilt und später freigekauft. Ihr Schicksal hat sie unter anderem in dem Buch "Spuren der DDR-Vergangenheit" (Twilight-Line-Verlag) verarbeitet.

 

Als Urlauberin getarnt

Weil das Ostseebad Boltenhagen in direkter Nähe zur nördlichsten Grenze bei Travemünde liegt und das westliche Festland vom Boltenhagener Ufer aus sichtbar ist, will die ehemalige Leistungsschwimmerin hier ihr Glück versuchen. Zur Tarnung gibt sie sich am Strand als Urlauberin aus.

 

Noch bevor sie losschwimmen kann, nehmen Grenzsoldaten sie fest und führen sie ab. Drei Tage lang wird sie von der Stasi verhört. Sie streitet alles ab, sagt, es sei alles ein Missverständnis gewesen - doch man glaubt ihr nicht, sie kommt in Untersuchungshaft. Erst dreieinhalb Wochen in Rostock, dann weitere drei Wochen in Cottbus.

 

 

Der Grotewohl-Express

Otto Grotewohl war von 1949 is 1964 Ministerpräsident der DDR. Oft "Knastminister" genannt, war er für die Unterbringung, Behandlung und den Transport der Gefangenen verantwortlich. Deshalb nannten die Gefangenen den beschwerlichen Transport ins Gefängnis Hoheneck den "Grotewohl-Express". Paarweise angekettet, saßen die Inhaftierten in anderthalb Meter langen und einem Meter breiten Kabinen mit bis zu fünf Personen zusammen. Die Fenster waren mit Milchglas verschlossen und durften nicht geöffnet werden. Viele Gefangene verloren das Bewusstsein. Auch Verpflegung gab es während der langen Fahrten nicht.

 

"Wie in einem Viehwagen zusammengepfercht sind wir über zwölf Stunden unterwegs gewesen", erinnert sie sich an die lange Überführung in ihre Heimatstadt Cottbus. "Grotewohl-Express" nennen die Gefangenen flüsternd den beschwerlichen Transport untereinander. In der U-Haft in Cottbus folgen weitere Verhöre. Polaszczyks Gesundheit bricht zusammen. Mit Magenkoliken und hohem Fieber tritt sie an ihrem Verhandlungstag vor den Richter. Das Urteil – zwei Jahre und vier Monate Haft – steht für die Behörden schon weit vor dem eigentlichen Verhandlungstag fest, wie sie heute weiß.

 

Die Hölle von Hoheneck

Am 12. Dezember 1984 kommt sie nach Hoheneck – "in die Hölle". Das Knallen der Tore bei ihrer Ankunft im Gefängnis hallt noch heute in ihrem Kopf nach: "Das werde ich nie in meinem Leben vergessen. Es war dunkel, es war kalt und wir hatten alle Angst." Ihr geht es immer schlechter. Sie verliert drastisch an Gewicht und ihr langes blondes Haar ergraut, sodass sie es sich irgendwann mit einer Bastelschere abschneidet.

 

Schloss Hoheneck - Dunkles DDR-Geheimnis
Frauengefängns Hoheneck

Unter katastrophalen Haftbedingungen waren ab 1951 über 600 Frauen im Gefängnis Schloss Hoheneck in Stollberg im Erzgebirge inhaftiert - Folter mit Dunkel- und Wasserzellen war an der Tagesordnung, viele Inhaftierte begingen Selbstmord. 1974 war die Anstalt mit 1.612 Insassinnen um mehr als die Hälfte überbelegt. Die DDR-Führung hielt die Existenz des Gefängnisses streng geheim - die Anstalt war auf keiner Landkarte verzeichnet.

 

Alle zwei Monate darf sie Besuch von ihrer Stiefmutter bekommen. Durch sie hofft Polaszczyk Kontakt zu ihrem Vater im Westen aufnehmen zu können. Nur durch eine hohe Glasscheibe und unter strengster Beobachtung kann sie mit ihr reden. "Alles wurde mitgehört. Wir konnten uns nicht viel sagen. Nur, dass wir leben", erinnert sie sich. Sie muss später erfahren, dass die Stiefmutter bei der Stasi war und Wort für Wort alles weitergegeben hat, was sie daheim oder am Telefon mit ihrer Stieftochter besprach.

 

Für Freikäufe bekannt

Dann schafft Polaszczyk es, Kontakt zu dem Anwalt Wolfgang Vogel aufzunehmen, der für Freikäufe von politischen Gefangenen aus der DDR bekannt ist. Nach zermürbenden acht Monaten des Wartens und weiteren Demütigungen durch die Gefängnisleitung kann er sie und andere politische Gefangene in den Westen bringen. Die Bundesregierung hat sie frei gekauft.

 

Abgemagert und kaum fähig zu laufen, nimmt sie in einem Aufnahmelager in Gießen Kontakt zu ihrem Vater auf. "Ich war gesundheitlich am Limit", sagt sie.

 

Gewissheit über den Vater 

2006 kommt der nächste Schock: Sie bekommt die Möglichkeit, ihre und schließlich auch die Stasi-Akte des Vaters einzusehen. Seit sie zwölf Jahre alt war, stand sie unter Beobachtung des Vaters, der bei der Stasi als inoffizieller Mitarbeiter (IM) "Paul" geführt wurde und auf jugendliche Gruppen angesetzt war, die als politisch unzuverlässig galten.

 

Die Schikanen in Hoheneck hatte sie ihrem Vater zu verdanken. Die Gefängnisleitung war wütend auf den ehemaligen Stasi-Spitzel, der mit seiner Flucht in den Westen Verrat an der DDR begangen hat, und ließ den Zorn an seiner Tochter aus. Bis heute kann die 50-Jährige nicht verstehen, warum ihr Vater freiwillig bei der Stasi arbeitete. Aus den Akten weiß sie, dass sein einziger Beweggrund Gier gewesen sein muss – die Gier nach Geld.